Heute vor zehn Jahren hat Papst Benedikt XVI. den Marienwallfahrtsort Etzelsbach besucht. Es war ein Ereignis, dem rund 100 000 Menschen beigewohnt haben. Heute, zum zehnten Jahrestag, erinnert beim Festgottesdienst in der Wallfahrtskapelle Weihbischof Reinhard Hauke daran.

Predigt von Weihbischof Reinhard Hauke 

„Ich habe seit meiner Jugend so viel vom Eichsfeld gehört, dass ich dachte, ich muss es unbedingt einmal sehen. Ich danke herzlich Bischof Wanke, der mit euern Landstrich vorgestellt hat schon im Herfliegen, und ich danke euern Sprechern und Vertretern, die mir sinnbildliche Gaben eures Landesüberreicht haben und mir zugleich die Vielfalt dieses Landes wenigstens andeuten konnten. So bin ich glücklich, dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, das Eichsfeld zu besuchen und hier in Etzelsbach mit euch zusammen Maria zu danken. ‚Hier im trauten stillen Tal` heißt es in einem Wallfahrtslied ,unter den alten Linden‘ schenkt uns Maria Geborgenheit und neue Kraft.“

Manchem von uns sind diese Worte von Papst Benedikt XVI. noch im Ohr. In Dankbarkeit für den Besuch von Papst Benedikt XVI heute vor 10 Jahren hier in Etzelsbach feiern wir Gottesdienst und hören biblische Lesungen, die davon sprechen, wie Gott im Leben von Menschen wirksam ist. An einem Marienwallfahrtsort steht natürlich Maria im Blick und wir hören in den Worten, die von ihr überliefert werden, die Dankbarkeit für die Erfahrung, dass Gott die Menschen groß macht, um sein Heilswirken möglich zu machen. Er wählt sich vor allem die Menschen, denen eigentlich nichts Großes zugetraut wird. Er schaut nach Nazareth, das nicht im besten Ruf steht und vor allem nicht als Ort angesehen ist, von dem Heil ausgeht. Das sollte uns hellhörig machen, wenn wir die Frage beantworten wollen, auf welchem Weg das Heil zu den Menschen kommt und wo die Orte sind, an denen Heil zu spüren ist.

 

Und wir werden noch einmal klein gemacht, wenn wir im Epheserbrief hören und lesen, dass wir geschaffen sind, um die guten Werke zu tun, die Gott für uns im Voraus bereitet hat. Es sind also nicht einmal unsere Ideen, durch die das Gute in die Welt kommt, sondern es sind die Ideen Gottes, der uns jedoch benötigt, damit diese Ideen in die Welt kommen können. Macht Gott uns unmündig oder traut er uns nichts zu? Das glaube ich jedenfalls nicht, denn die Heilige Schrift ist voll von Zeugnissen, wie Gott Menschen in seinen Dienst und damit auch in die Verantwortung nimmt.

 

Der Dienst eines Papstes, wie der von Papst Benedikt und heute von Papst Franziskus, erscheint oftmals als ein Dienst im Licht der Freude und der Ehre. Die prächtige Anlage des Vatikan scheint das zum Ausdruck zu bringen. Jüngste Ereignisse in der Kirche korrigieren dieses Bild. Der Papst muss schwere Entscheidungen treffen, wenn es um Missbrauchsvorwürfe gegen Bischöfe und Priester geht. Nicht immer werden seine Entscheidungen verstanden, aber wir dürfen davon ausgehen, dass sie aufgrund von Gutachten und Zeugnissen gefällt wurden, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Wir haben einen Papst erlebt, der im strömenden Regen auf dem menschenleeren Petersplatz gebetet hat und um Abwendung der Pandemie Gott und die Gottesmutter anflehte. Viele Veränderungswünsche fokussieren sich auf den Papst und in seiner besonderen Art bittet er um das Gebet für sich und die Kirche, damit im Geist Jesu Christi die Kirche sich entwickelt und entfaltet. Die Einberufung einer Bischofssynode zur Synodalität hat Papst Franziskus auch nicht überall Lob eingebracht. Alle aber, die sich vor Ort in den Diözesen um die Wiederentdeckung dieses Prinzips für die katholische Kirche bemühen, freuen sich über den Rückenwind aus Rom und ich hoffe sehr, dass er uns bei den kommenden Diskussionen in Frankfurt hilft.

 

Vor Ort bemühen sich in den Diözesen der Bischof und die anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um eine konkrete Neuausrichtung der Seelsorge, wenn der Eindruck besteht, dass sich etwas verändern muss. Kommentare bei diesem Thema sprechen oftmals davon, dass die Kirche sich an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen muss. Das Aggiornamento, von dem das 2. Vatikanische Konzil gesprochen hat, ist aber nicht ein Anpassen an die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern das Deuten und Prägen der Ereignisse unserer Zeit im Geist des Evangeliums. Überall, wo wir hingehen und die Geschichte gestalten wollen, ist Christus eigentlich immer schon anwesend. Wenn das Wort des Apostels Paulus stimmt, dann sind alle Antworten schon fertig, aber wir kennen sie noch nicht und wir werden sie auch nicht kennenlernen, wenn wir uns nur auf unsere eigenen Überlegungen konzentrieren. Wir erleben in unseren Diözesen eine Profilierung der Meinungen, die von einem großen Wissen und Selbstbewusstsein Zeugnis geben. Vielleicht gab es noch niemals so viel Wissen über den Glauben, wie heute. In den Schulen und Universitäten werden der Glaube und das Leben der Kirche angeschaut und bewertet. Diese Vielfalt an Wissen spiegelt sich dann in den Diskussionen unserer Gremien in den Pfarreien und Kirchorten wieder. Gern frage

 

ich aber, ob es sich um ein Glaubenswissen handelt, oder um den Glaubensakt, der ja mit Hingabe und Liebe zu Gott geschieht. Die großen theologischen Auseinandersetzungen in der Geschichte der Kirche wurden immer mit einer Entscheidung beendet, die dann bedeutete: „Kannst du dich anschließen oder nicht?“ Die Entscheidung hat zum Nachdenken über die eigene Meinung geführt. Neue Aspekte mussten bedacht werden, die dann zum Einlenken geführt haben und zu einem neuen Konsens. Manchmal braucht es aber 500 Jahre, bis es zu einer gemeinsamen Sicht kommt, die lange Zeit nicht möglich war. Wir brauchen dabei auch den langen Atem, der jedoch schwer zu verwirklichen ist.

 

Hier sind wir dann schon in unseren Pfarreien angekommen, wo ja ebenso um Gestaltung gerungen wird und heute oftmals um einen Neustart nach der Pastoral, wenn ich an die Ministranten- und Jugendgruppen denke, an die Kirchenchöre und Familienkreise. Durch die Pandemie wurden wir genötigt, uns in den Kontakten zu beschränken und jetzt steht die Frage, was sich wieder zu neuem Leben zu erwecken lohnt. Internetseelsorge hat in den letzten Monaten einen großen Zulauf bekommen und wir werden diese Chance weiterhin im Blick behalten müssen. Beschränkung auf Wesentliches hat uns nachdenklich gemacht über Veranstaltungen, die zwar immer schon waren, aber vielleicht auch kürzer realisierbar sind. Wir wurden gezwungen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Wir haben gespürt, wovon jedoch auch unser Glaube lebt: Der Kontakt mit den Mitmenschen, die Erfahrung von Gemeinschaft beim Beten und Singen und das Angewiesensein auf Berührung beim Segnen der Kinder, bei der Firmung und den Sakramentalien wie Aschenkreuz und Blasiussegen und bei der Spendung der Heiligen Kommunion, die man am Fernseher beim gestreamten Gottesdienst nicht empfangen kann.

 

„Wo Gott ist, da ist Zukunft“ — stand über dem Papstbesuch vom 22. bis 25. September 2011 in Berlin, Erfurt, Etzelsbach und Freiburg. Dieses Wort bedeutete in unserem Bistum: Die Betrachtung der zwei Diktaturen, die im Blick auf Gott überwunden wurden. Besonders haben wir es bei der Wende 1989 gespürt, wie der Geist Jesu Christi, der Geist des Friedens und der Versöhnung, Veränderungen bewirken kann, von denen wir vorher nur geträumt hatten. Wir werden am kommenden Sonntag eine Wahl haben, wo mehrere Parteien sich um unsere Stimme bemühen. Wenn auch der Wahlkampf bisweilen sehr hart ausgetragen wird — bis hin zu Äußerungen, die man nicht tolerieren kann, so ist es doch möglich, sich zu entscheiden, wem man vertraut oder nicht. Wie sehr haben wir uns vor 1989 diese Möglichkeit gewünscht. Heute haben wir sie, aber viele achten sie nicht und geben ihre Stimme nicht ab, weil sie meinen, dass man ja doch nichts ändern kann. Das ist ein Denkfehler. Bitte nehmen Sie das Wahlrecht in Anspruch, damit nicht Kräfte mächtig werden, die den Glauben und das Leben der Kirche zerstören oder Meinungsvielfalt unterdrücken wollen.

 

Was uns heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dass wir deutschlandweit und sogar europaweit ungehindert reisen können und dass auch die ganze Welt erreichbar ist, wenn wir das nötige Kleingeld haben, das ist für mich immer noch Anlass zur Dankbarkeit und tiefer Freude.

Papst Benedikt rät in seiner Predigt vor 10 Jahren: „Unser Vertrauen auf die wirksame Fürsprache der Gottesmutter und unsere Dankbarkeit für die immer wieder erfahrene Hilfe tragen in sich selbst gleichsam einen Impuls, über die Bedürfnisse des Alltags hinaus zu denken. Was will Maria uns eigentlich sagen, wenn sie uns aus einer Not errettet? Sie will uns helfen, die weite Tiefe unserer christlichen Berufung zu erfassen. Sie will uns in mütterliche Behutsamkeit verstehen lassen, dass unser ganzes Leben Antwort ein soll auf die erbarmungsreiche Liebe Gottes.“

Wir verlassen heute diesen Wallfahrtsort wieder und sollten den Gedanken mitnehmen, dass wir begleitet werden durch die Führungen und Fügungen Gottes, denen sich Maria anvertraut hat und die dadurch Zukunft gestalten konnte. „Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat Gott geschaut.“ Das zu erkennen und daraus zu leben ist für mich eine gute Wegweisung, die der Kirche und der Gesellschaft gut tut. Bischof Dr. Wanke, der vor 10 Jahren hier den Papst begrüßen konnte, mahnt uns durch seinen Wahlspruch aus dem 1. Petrusbrief: „Den Spuren Christi folgen!“ Besser können wir es nicht machen. Amen.

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