Leinefelde nimmt Abschied: Die alte Stadtbibliothek Teil 3 (1991 bis 2023)

Das Gebäude der Stadtbibliothek am Zentralen Platz im Oktober 2022. Foto: Ilka Kühn

In Kürze soll der Gebäudekomplex des einstigen Versorgungszentrums am
Zentralen Platz mit der HO-Kaufhalle „Blaues Wunder“, dem „Haus der Dienste“, dem
Friseur- und Kosmetiksalon der PGH „Moderne Linie“ sowie der Stadtbibliothek abgerissen
werden. Viele Bürger fragen sich, ob man daraus nicht hätte etwas machen können. Ein Konzept gibt es nicht – der Komplex soll abgerissen werden, damit es zur Landesgartenschau gut aussieht…. Dr. Michael Kruppe hat in mehreren Teilen die Geschichte der Entwicklung der Stadtbibliothek veröffentlicht. Hier nun sein 3. und letzter Teil zum Thema:

Während in der DDR die Bezirke und Kreise rechtlich und politisch dazu verpflichtet waren,
Bibliotheken in ihren Territorien vorzuhalten, galten kommunale Bibliotheken in der BRD
hingegen als freiwillige Aufgaben der Landkreise, Städte und Gemeinden. Von nun an
mussten die Stadt- und Kinderbibliothek Leinefelde sowie deren Mitarbeiter jedes Jahr um
ihre Existenz kämpfen. Zwar bekannte sich die Stadt immer wieder zu ihrer Bücherei, doch
die Haushaltslage schwebte seit 1991 wie ein Damoklesschwert über der Einrichtung.

Um dennoch den neuen Aufgaben als Bildungs- und Kultureinrichtung gerecht zu werden,
war die Stadt- und Kinderbibliothek auch auf Spenden aus den alten Bundesländern
angewiesen. Georgsmarienhütte in Niedersachsen und Schmallenberg in Nordrhein-Westfalen
starteten im März 1991 die Sammelaktion „Bücher für Leinefelde“. Diese hatte großen Erfolg.
Schon in der ersten Aprilwoche des Jahres 1991 übergaben Mitarbeiter vom Planungsamt der
Stadt Georgsmarienhütte rund 1.000 gebrauchte Bücher an Leinefelde. Das Gesamtgewicht
betrug eine Tonne. Auf diesem Wege gelangte u.a. auch eine kommentierte Ausgabe von
Hitlers „Mein Kampf“ in die Erwachsenenbibliothek.

Weitere nennenswerte Spenden erfolgten 1993: Im Juni übergab die Partnerstadt Erkrath in Nordrhein-Westfalen 100 neuwertige Bände und im August erhielt Leinefelde aus dem Berliner Lager der „Stiftung Lesen“ Bücher im Wert von 4.000 D-Mark.

TA vom 1.12.1993

Bis 1993 hatte sich die Haushaltslage von Leinefelde dramatisch verschlechtert. Um die
Deckungslücke von 1,8 Mio. D-Mark abzubauen, wurde im März 1993 die Außenstelle der
Kinderbibliothek in der Straße des Friedens 7 geschlossen. Da die Räume neben der
Erwachsenenbibliothek am Zentralen Platz seit dem Auszug des Klubs der Volkssolidarität
leer standen, bot sich für die Stadtverwaltung nun die Möglichkeit, beide Einrichtungen unter
einem Dach zusammenzulegen.

Insgesamt standen für die künftige Kinderbibliothek am Zentralen Platz nochmals ca. 160 Quadratmeter Ausleihfläche sowie zusätzliche Büroräume zur Verfügung. Anfang April 1993 konnte die Wiedereröffnung stattfinden. Als die Presse im Dezember 1993 davon berichtete, dass auch die Außenstelle in der Büchnerstraße 22 geschlossen werden sollte, führte dies zu heftigen Protesten. Ein kurzfristig verhängter Räumungsstopp hatte jedoch nur aufschiebende Wirkung für ein Vierteljahr; im ersten Quartal 1994 konnte der Umzug abgeschlossen werden.

Christiane Hahne wurde 1993 Leiterin in Leinefelde. (TA vom 11.12.1993)

Während des Jahres 1993 hatte Christiane Hahne die Gesamtleitung der Stadt- und
Kinderbibliothek von Irene Heinemann übernommen. Susann Beyer und Ingrid Sendelbach
waren für die Kinderbibliothek verantwortlich. Unter der Führung von Christiane Hahne
kehrte die Bücherei endlich wieder in ruhiges Fahrwasser zurück und „segelte“ der Zukunft
entgegen.

Im Januar und Februar 1995 wurden die alten Holzregale aus den 1970er Jahren in der Erwachsenenbibliothek durch moderne Metallregale ersetzt. Sie konnten die Bücher nicht
mehr tragen und drohten jederzeit einzustürzen. Im Mai 1997 erhielt auch die Kinderbibliothek neue Regale. Die Bestände beider Einrichtungen waren inzwischen fast vollständig neu aufgebaut worden. 1999 verfügte die Bücherei über rund 40.000 Medien, darunter Bücher, Zeitschriften, CD’s, Kassetten und Videos.

Außerdem wurde seit 1998 ein modernes Ausleihsystem auf EDV-Basis für die über 3.000 aktiven Nutzer eingeführt. Dank einer Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung konnte man seit Anfang des Jahres 2000 an den beiden Computern in der Erwachsenenbibliothek im Internet surfen.

Die Fusion der Städte Leinefelde und Worbis mit den Gemeinden Breitenbach und
Wintzingerode am 16. März 2004 zur Stadt Leinefelde-Worbis hatte auf das Bibliothekswesen nur geringe Auswirkungen. Christiane Hahne blieb Leiterin der Stadt- und Kinderbibliothek in Leinefelde und Marianne Köhler führte weiterhin die Stadt- und Kinderbibliothek in Worbis. Erst im März 2006 wurden beide Einrichtungen zusammengelegt. Es entstand die „Stadt- und Kinderbibliothek Leinefelde-Worbis“ unter der Leitung von Marianne Köhler.

Die beschauliche Ruhe endete mit der Amtszeit von Bürgermeister Gerd Reinhardt. Von 2017
bis 2022 plante die Stadt Leinefelde-Worbis, den Gebäudekomplex am Zentralen Platz vom „
Blauen Wunder“ bis zur Bibliothek abzureißen, um dort ein Medizinisches Versorgungszentrum errichten zu lassen. Die Stadt- und Kinderbibliothek sollte deshalb für sechs Monate an einen provisorischen Standort innerhalb von Leinefelde umziehen und nach erfolgter Sanierung des Gebäudes der früheren Wohngebietsgaststätte „Stadt L.“ dort ihren neuen Sitz finden.

Kleine Galerie mit Fotos (Oktober 2022) der ehemaligen Bibliothek in Leinefelde von Ilka Kühn:

Blick in die Kinderbibliothek im Oktober 2022. Foto: Ilka Kühn

Kleine Galerie vom Oktober 2022, kurz vor Schließung. Fotos Ilka Kühn

Zu diesem Zweck wurde das leer stehende Geschäftshaus in der Bahnhofstraße 18 rechts neben der Lutherkirche angemietet und bibliotheksgerecht umgebaut. Am 24. Oktober 2022 erfolgte die endgültige Schließung Stadt- und Kinderbibliothek am Zentralen Platz. Am 20. November 2022 konnte das Ausweichquartier in der Bahnhofstraße 18 feierlich eröffnet werden.

Im Januar 2023 platzte der Traum von einer Sanierung der früheren Wohngebietsgaststätte
„Stadt L.“. Mangels Liquidität musste die Stadt Leinefelde-Worbis ihre ambitionierten Pläne aufgeben und bereits erhaltene Fördermittel an den Freistaat Thüringen zurückzahlen. Da der
jetzige Standort in der Bahnhofstraße 18 nur angemietet ist, bleibt abzuwarten, wie lange sich
die Stadt dieses Provisorium leisten kann.
Michael Kruppe

Teil 1

Teil 2:

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