Leinefelde nimmt Abschied: Die alte Stadtbibliothek , Teil 2 (1988 bis 1991)

Der Gebäudekomplex auf einer Ansichtskarte vom Jahr 1983. Sammlung: M. Kruppe

Die Tage sind gezählt, der Gebäudekomplex des einstigen Versorgungszentrums am Zentralen Platz mit der HO-Kaufhalle „Blaues Wunder“, dem „Haus der Dienste“, dem Friseur- und Kosmetiksalon der PGH „Moderne Linie“ sowie der Stadtbibliothek soll demnächst abgerissen werden. Doch wie war die Entwicklung kurz vor der Wende? Dr. Michael Kruppe mit dem nächsten Teil der geschichtlichen Entwicklung:


Bereits vor dem Untergang der DDR vollzogen sich in der Stadt- und Zentralbibliothek gravierende Veränderungen. Da Rosemarie Jayme, die bisherige Leiterin der Leinefelder Kinderbibliothek, die Führung der Stadt- und Kreisbibliothek Worbis übernommen hatte, wurde Irene Heinemann 1988 ihre Nachfolgerin. Heinemann hatte bis dahin die Kinderbibliothek Worbis geleitet und stand nun beiden Einrichtungen vor.


Im November 1988 stellte Vera Keßler bei der Abteilung Kultur vom Rat des Kreises Worbis zum wiederholten Male den „Antrag auf Errichtung einer Zweigstelle im Neubaugebiet“, um die „schöpferische Freizeitgestaltung der Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder entwickeln zu helfen“. Das erste Ersuchen dieser Art war bereits im Februar 1985 erfolgt. Die Abteilung Kultur vom Rat des Kreises Worbis ignorierte die beiden Anträge jedoch, obwohl die Literaturversorgung in der Leinefelder Südstadt schon lange als unzureichend galt.

Auch die Ausleihstelle in der POS IV „Johann Carl Fuhlrott“ genügte nicht mehr den Anforderungen; sie wurde von den Mitarbeitern der Kinderbibliothek regelrecht boykottiert: „Es ist unverantwortlich, in solch eine „kulturvolle“ Einrichtung einzuladen und dafür auch noch Leserwerbung zu betreiben. […] Die Kolleginnen der Kinderbibliothek lehnen es ab, die
Ausleihstelle in der POS IV weiter unseren Kindern im Neubaugebiet anzubieten.“, heißt es in einem Schreiben vom Januar 1990.


Bereits im Oktober 1989 hatte Kerstin Nachtwey die Leitung der Stadt- und Zentralbibliothek von Vera Keßler übernommen; einen Monat später fiel die Berliner Mauer. Von nun an erlebte das hiesige Bibliothekswesen radikale Umwälzungen. Noch im ersten Halbjahr 1990 wurde damit begonnen, große Bestände auszusondern, um die Leinefelder Bibliotheken politisch wie ideologisch zu säubern. Dies betraf sämtliche Publikationen der Partei- und Massenorganisationen SED, FDJ, DSF, GST und FDGB etc. Aber auch viele Druckerzeugnisse und Schallplatten aus der Sowjetunion verschwanden aus den Regalen. Das Angebot an Fachliteratur und audiovisuellen Materialien war völlig veraltet, die Ausleihzahlen brachen erheblich ein.

Die jährlichen Pflichtveranstaltungen „Woche des Buches“ und „Tage des sowjetischen Buches“ fanden nicht mehr statt. An ihre Stelle traten ab Mai 1991 der so genannte „Bücherfrühling“ und ab Mai 1996 das Bibliotheksfest. Beide erfreuten sich großer Beliebtheit.


Auch organisatorisch gab es Veränderungen. Im Dezember 1990 wurde Kerstin Nachtwey von Irene Heinemann als Leiterin der Stadt- und Zentralbibliothek abgelöst. Heinemann war es zuvor gelungen, in der Büchnerstraße 22 eine weitere Ausleihstelle der Kinderbibliothek einzurichten. Fünf Jahre hatte man vergeblich darum gekämpft; im 3. Quartal 1990 konnte sie endlich eröffnet werden. Im Gegenzug wurden die Ausleihstellen in der POS IV „Johann Carl Fuhlrott“, im Lehrlingswohnheim des Milchhofs, im Alten- und Pflegeheim in der Stormstraße sowie im Hochhaus in der Bachstraße geschlossen.

Eichsfelder Allgemeine v. 9. April 1991


Nach dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz der BRD am 3. Oktober 1990 gab es im Kreis Worbis keine staatlichen Bibliotheken mehr. Die FDGB-Gewerkschaftsbibliotheken wurden aufgelöst und alle öffentlichen Bibliotheken verblieben in Trägerschaft des Kreises Worbis. Dieser wollte und konnte sich deren Unterhalt jedoch nicht mehr leisten. Daher beschloss der Worbiser Kreistag im Mai 1991, die Bibliotheken des Landkreises in die kommunale Trägerschaft der Städte und Gemeinden zu übergeben. Dies bedeutete für viele Büchereien das Ende ihrer Existenz. Das in 40 Jahren mühsam aufgebaute Bibliothekennetz im Kreis Worbis brach innerhalb kürzester Zeit zusammen. Übrig blieben nur die großen Einrichtungen in Leinefelde, Worbis und Dingelstädt.


Da der Stadt Leinefelde sowohl die Stadt- und Zentralbibliothek als auch die
Kinderbibliothek übertragen worden waren, legte man beide Einrichtungen zusammen. Es entstand die so genannte „Stadt- und Kinderbibliothek Leinefelde“ mit den drei Standorten
am Zentralen Platz, in der Straße des Friedens 7 und der Büchnerstraße 22. Um die Arbeit der neuen Stadt- und Kinderbibliothek aufrechterhalten zu können, erhielten ab dem 1. Juli 1991 alle sieben Mitarbeiter eine ABM-Stelle für zwei Jahre. Nach einer anschließenden Verlängerung um ein weiteres Jahr wurden die meisten Mitarbeiter von der Stadtverwaltung übernommen.

Dr. Michael Kruppe


[Fortsetzung folgt]

Zum Teil 1:

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