Leinefelde nimmt Abschied – Die Geschichte der Stadtbibliothek (Teil 1)

Ursprünglich sollte im April 2023 der Gebäudekomplex des einstigen Versorgungszentrums am Zentralen Platz mit der HO-Kaufhalle „Blaues Wunder“, dem „Haus der Dienste“, dem Friseur- und Kosmetiksalon der PGH „Moderne Linie“ sowie der Stadtbibliothek abgerissen werden.

Erika Grimm war die erste Leiterin der Stadtbibliothek am Zentralen Platz 1974. Bildquelle: Lokalzeitung „Das Volk“ vom 9. Oktober 1974.

Zwar steht das Gebäude immer noch, aber seine Tage sind gezählt. Dr. Michael Kruppe zur Geschichte der Stadtbibliothek am Zentralen Platz:

Am 3. September 1974 wurde die so genannte „Stadt- und Zentralbibliothek Leinefelde“ als viertes Teilstück des neuen Versorgungszentrums am Zentralen Platz feierlich eröffnet. Sie befand sich im Obergeschoss neben dem Klub der Volkssolidarität. Im Erdgeschoss hatte die PGH „Moderne Linie“ ihren Friseur- und Kosmetiksalon. Die Stadt- und Zentralbibliothek wurde von Erika Grimm geleitet und bestand zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung aus zwei Büroräumen sowie einem 160 Quadratmeter großen Lesesaal mit über 10.000 Bänden. Ab Juli 1975 bereicherten über 500 Schallplatten das Angebot.

Artikel „Das Volk“ vom 6. Oktober 1974.

Von 1974 bis 1990 war die Bücherei eine staatliche Allgemeinbibliothek in Trägerschaft des Kreises Worbis. Der Stadt Leinefelde gehörten lediglich die Räumlichkeiten, in denen die Erwachsenenbibliothek und die ihr unterstellte Kinderbibliothek untergebracht waren. Finanziell unterhalten wurde die Stadt- und Zentralbibliothek durch den Kreis Worbis sowie die Stadt Leinefelde. Aber auch der VEB Baumwollspinnerei und –zwirnerei Leinefelde sowie der VEB Eichsfelder Zementwerke Deuna mussten sich vertragsgemäß am Unterhalt der Kultureinrichtungen in Leinefelde beteiligen. Schließlich wohnten ca. 80 Prozent der Betriebsmitarbeiter in der Stadt und nutzten die dortige Infrastruktur. Die FDGB- Gewerkschaftsbibliothek der „Spinne“ half zudem bei der Beschaffung von Literatur, Tonträgern und Bildmaterial.

Das Aufgabenspektrum der Stadt- und Zentralbibliothek Leinefelde war genau vorgeschrieben: Als Stadtbibliothek sollte sie „den gesellschaftlichen Erziehungs- und
Bildungsauftrag erfüllen und die Literaturarbeit besonders mit den sozialistischen Brigaden
und der Jugend verstärken.“ Mit dem gesellschaftlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag war die „Förderung der kulturell-ästethischen Bildung“ sowie die „Erziehung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten“ gemeint. Als Zentralbibliothek sollte Leinefelde die umliegenden Gemeindebibliotheken fachlich betreuen, mit Literatur versorgen und dort im Auftrag der übergeordneten Kreisbibliothek Worbis Revisionen durchführen. Darüber hinaus bildete die Stadt- und Zentralbibliothek Lehrlinge aus, welche die Fachschule für Bibliothekare „Erich Weinert“ in Leipzig besuchten.

Zu den wichtigsten Öffentlichkeitsarbeiten der Stadt- und Zentralbibliothek zählten Buchlesungen, literarisch-musikalische Veranstaltungen, Bibliotheksführungen, Diavorträge sowie Veranstaltungen mit Schallplatten. Jährliche Höhepunkte waren die so genannte „Woche des Buches“ im Monat Mai und die „Tage des sowjetischen Buches“ im Oktober und November. Jede Aktivität der Bücherei wurde akribisch dokumentiert und ausgewertet.

Da die Eröffnung der neuen Stadt- und Zentralbibliothek erst für September 1974 vorgesehen war, bedurfte es ähnlich wie beim Friseur- und Kosmetiksalon der PGH „Moderne
Linie“ wieder einer Übergangslösung. Im April 1971 wurde deshalb in der Käthe-Kollwitz- Straße 22 eine Zwei-Zimmer-Wohnung angemietet und als Bibliothek eingerichtet. Sie verfügte über einen Bestand von 3.000 Bänden und wurde von Erika Grimm geleitet.

1976 Stadtbibliothek – Sammlung M. Kruppe

Im Juli 1974 begann der Umzug der Bücherei in den Neubau am Zentralen Platz. Der alte Standort in der Käthe-Kollwitz-Straße Nr. 22 wurde als Kinder- und Jugendbibliothek (so genannte „Ausleihstelle“) eingerichtet. Auch sie war eine staatliche Allgemeinbibliothek in Trägerschaft des Kreises Worbis. Im ersten Halbjahr 1975 konnte die Kinderbücherei ihre Arbeit aufnehmen. Des Weiteren gab es bis 1979 in der Polytechnischen Oberschule III „Ernst Thälmann“ noch eine Ausleihstelle für Schüler. Diese unterstand der Kinderbibliothek und wurde von dort mit Literatur versorgt.

1976 eröffnete die Stadt- und Zentralbibliothek in der Straße des Friedens 7 einen eigenen Jugendclub. Dieser ermöglichte den Jugendlichen nicht nur eine besondere Ferien- und Freizeitgestaltung, sondern auch eine praktische Mitwirkung bei der alltäglichen Arbeit der Stadt- und Zentralbibliothek. Wer später mal Bibliothekar werden wollte, konnte hier seine ersten Erfahrungen sammeln.

Ende des Jahres 1978 zog die Kinder- und Jugendbibliothek von der Käthe-Kollwitz-Straße 22 in den Jugendclub in der Straße des Friedens 7. Im Januar 1979 konnte die Ausleihstelle eröffnet werden. Ebenso zog im Frühjahr 1979 die Ausleihstelle von der POS III „Ernst Thälmann“ in die neue POS IV „Johann Carl Fuhlrott“. Zwar verfügte die Kinderbibliothek Leinefelde nun über zwei Standorte, diese lagen jedoch räumlich weit auseinander.

Dasselbe Problem hatte auch die Stadt- und Zentralbibliothek. 1979 eröffnete sie eine Ausleihstelle im Lehrlingswohnheim des VEB Milchhof Leinefelde. Dieses befand sich in der obersten Etage des blauen Verwaltungsgebäudes, welches im Jahre 2022 abgerissen wurde. 1986 kamen zwei weitere Ausleihstellen hinzu: im Alten- und Pflegeheim in der Stormstraße neben der POS IV „Johann Carl Fuhlrott“ sowie im Hochhaus für altersgerechtes Wohnen in der Bachstraße. Die Anzahl der Bestände in den jeweiligen Ausleihstellen lag stets im unteren dreistelligen Bereich. In der Regel handelte es sich meist nur um ein Bücherregal und die Benutzerzeiten waren auf ein bis zwei Stunden pro Woche begrenzt.

Lokalzeitung „Das Volk“ vom 6. September 1984.


Im März 1981 übernahm Vera Keßler mit nur 22 Jahren die Leitung der Stadt- und Zentralbibliothek von Erika Grimm. Sie hatte sich bereits als Schülerin in den Jugendeinrichtungen der Bibliothek engagiert und nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung zur Bibliothekarin in Leipzig absolviert. Den praktischen Teil ihrer Lehre leistete Keßler in der Stadt- und Zentralbibliothek Leinefelde ab. Unter ihrer Leitung wurden die Bestände (Bücher, Zeitschriften, Dias, Schallplatten und Kassetten) sowie die Ausleihzahlen um ein Vielfaches gesteigert.


Am Mittwoch, den 29. August 1984, feierte die Stadt- und Zentralbibliothek Leinefelde ihr 10jähriges Bestehen. Dazu fand am Vormittag ein Matinee in den Räumen am Zentralen Platz statt und am Abend ein Literaturball in der Gaststätte „Haus Eichsfeld“. Der Geburtstag fiel zeitlich zusammen mit den Vorbereitungen zum 35. Jahrestag der Gründung der DDR. Auch hierzu sollte sich die Bibliothek wie bei allen anderen politischen Jubiläen mit eigenen Veranstaltungen beteiligen. Darüber hinaus mussten alle Mitarbeiter der Stadt- und Zentralbibliothek das so genannte „Parteilehrjahr“ an der Kreisschule für Marxismus- Leninismus besuchen. Die meisten von ihnen waren jedoch kein Parteimitglied.
[Fortsetzung folgt]

Dr. Michael Kruppe

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