Leinefelde. Ein kurzer Treff neben dem Hochhaus des einstigen Milchhofes, letzte Absprachen zum Sprengtermin, letzte Aufnahmen mit dem Schornstein im Hintergrund. 

Sprengmeister Karl-Heinz Bühring, Unternehmer Falk Wedekind mit Sohn Fabrice und Bürgermeister Marko Grosa. Foto: Ilka Kühn

Am Morgen des 7. Mai 2022 war der Platz in Schornsteinnähe im Umkreis von 200 Meter abgesperrt. Ordnungskräfte, Polizei und Feuerwehr nahmen allmählich ihre Plätze ein oder schauten nach, ob alles vorbereitet ist. Sprengmeister Karl-Heinz Bühring geht den Tag lieber ruhiger an. Er mag so viel Aufsehen nicht, vor allem nicht die vielen fragenden Journalisten. So zieht es ihn lieber in die Nähe des Objektes, was nur noch wenige Stunden steht. Überall, wo Karl-Heinz Bühring arbeitet, macht er Platz für Neues. 

Der Sprengmeister hat die Tage vor der Sprengung seine hauptsächliche Arbeit geleistet. Da dürfen er und sein Team keine Fehler machen, alles muss präzise erarbeitet sein. Fällt solch ein Schornstein nicht in die vorgesehen Richtung, kann er viel Schaden anrichten. Die ersten Kontakte zu Unternehmer Falk Wedekind gab es bereits schon vor sechs Jahren. Falk Wedekind wollte das Areal des alten Heizwerkes kaufen und musste natürlich wissen, was mal mit dem Schornstein werden sollte. Auf ewig konnte er nicht stehen bleiben. Innen mit viel Metall verbaut, war der Beton in keiner guten Qualität mehr, obwohl der Schlot erst 1987 errichtet worden war. So blieb nur eins: Sprengung, möglichst zu einem Zeitpunkt, wo es noch ohne größeren Aufwand möglich war. 

Falk Wedekind beobachtete die Entwicklung Leinefeldes, befasste sich mit den Plänen der Landesgartenschau und wusste, es musste schnell ein Termin gefunden werden. Sind die Arbeiten für die LGS erst einmal richtig in Gange, wird es mit der Sprengung schwierig. Es fehlt dann der Platz, wo er “hingelegt” werden kann. Falk Wedekind setzte sich auch mit der Bahn in Verbindung. Da kam ihm zugute, dass die Bahn jetzt Abschnitte wegen Gleisarbeiten gesperrt hatte, an diesen Termin hängte sich der Unternehmer an. 

So war alles vorbereitet für den 7. Mai 2022. Bürgermeister Marko Grosa hatte ja schon bei den ersten Ideen für eine Schornsteinsprengung gesagt, dann machen wir ein Fest! Und so kam es dann auch. Während sich die Festwiese und das Festzelt immer mehr füllten, nahmen auch entlang der Birkunger Straße und auf verschiedenen Dächern im nötigen Sicherheitsabstand die Schaulustigen Platz. Es war eine Begeisterung, wie man sie lange nicht sah. Wieviel Tausende da gestern unterwegs waren, kann niemand genau sagen. Jedenfalls wurde sicher noch nie so viel fotografiert und gefilmt innerhalb kurzer Zeit. 

Die Spannung stieg. Punkt elf Uhr mussten alles das Gelände der Firma Wedekind verlassen haben. Bis dahin hatte Falk Wedekind mit seinem Team hier noch Spender begrüßt. Sprengmeister Karl-Heinz Bühring fuhr sein Auto vor den Kreisel, mit Abstand zu allen anderen. Von hier gab er die Signale. Erst eins, dann zweimal und nach drei hintereinander folgenden Signalen folgte nach drei Sekunden dann der berühmte Druck auf dem Knopf, der in Leinefelde von Kindern vorgenommen wurde.

Alle verfolgten live oder über Youtube und im Festzelt diese Sekunden. Ein Knall, eine anfängliche Staubwolke, dann kam Bewegung in den 98 Meter hohen Schornstein. Wie in Zeitlupe legte er sich in die Richtung zwischen Milchhof Halle 3 und Gleisbett, so wie vorgegeben. Aufgeschüttete Erdhügel bremsten den Fall ab, damit Straße und Schiene keinen Schaden nehmen. Noch ein dumpfes Geräusch, dann die Staubwolke und vom einstigen Schornstein war nichts mehr zu sehen. Die Staubwolke klärte sich langsam und man konnte den Steinriesen langgestreckt sehen, wie eine Flunder lag er da. Das wollten sich die Schaulustigen natürlich aus der Nähe anschauen. Doch sie konnten erst hin, nachdem Sprengmeister Karl-Heinz Bühring dreimal kurz den Signalton und somit Entwarnung gegeben hatte. Dann begann eine kleine Völkerwanderung, alle zog es zur Absperrung. Von überall wurden Fotos und Videos gemacht. Auch die Steinsammler waren schon fleißig. Abgesprengte Steine waren bis in Richtung Halle beim Milchhof gefallen. Die Absperrung mit 200 Metern hatte schon seine Berechtigung. 

Sprengmeister Karl-Heinz Bühring konnte mit seiner Arbeits mehr als zufrieden sein und er war es auch, sagte er im Gespräch. Ich wollte von ihm wissen, was er in den Sekunden denkt, wenn der Schornstein fällt: nichts. Aber er würde ganz genau beobachten und kurz vor der “Landung” macht er die Augen zu. Es war sein 599. Schornstein, den er gesprengt hat. Er hatte gehofft, dass er vielleicht noch einen kleineren zwischendurch noch dazu bekommt, dann hätten die Leinefelder seine 600. Schornsteinsprengung erlebt. Aber 599. ist auch schon eine besondere Zahl. Bührings Sprengarbeit beschränkt sich nicht nur auf Schornsteinsprengungen, sie umfasst vielmehr. Aber Schornsteine sind irgendwie sein Hobby geworden. 

Nun ist der Orientierungspunkt in Richtung Birkungen weg. Und wenn man in die Richtung schaut, fehlt was. Aber es ist auch gut so. Irgendwann wäre der Schornstein gebröckelt und wäre zum Sicherheitsrisiko geworden. In den nächsten Tagen wird auf dem Gelände aufgeräumt, bis dahin muss die Straße nach Birkungen noch gesperrt bleiben. 

Falk Wedekind hatte zugleich mit der Sprengung etwas Gutes tun wollen und einen Aufruf für Spenden gestartet. 10 000 Euro kamen zusammen, die Kreissparkasse legte die gleiche Summe nochmal drauf. Und dann kamen noch weitere Spenden. Alles für einen guten Zweck in der Region und nicht für seine Firma, versicherte der Unternehmer vor der Sprengung im Festzelt. Das Geld soll vor allem Vereinen helfen. 

Ilka Kühn

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