Ein Beitrag von Michael Kruppe

Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 begann der kometenhafte Absturz vom „Stadt L.“. Am 1. März 1990 beschloss der Ministerrat der DDR die Gründung der Treuhandanstalt, welche das so genannte Volkseigentum verwalten und die volkseigenen Betriebe, Kombinate etc. in Kapitalgesellschaften umwandeln sollte.

Aus dem Stadt L wurde nach der Wende zunächst Tip-Markt und Spielcasino . Foto: Ilka Kühn

Dadurch gingen der HO-Kreisbetrieb Worbis und seine Immobilien in den Besitz der neuen Körperschaft über. Obwohl sich die Stadt Leinefelde zeitnah um den Kauf des Objekts bemühte, schloss die Treuhandanstalt die Gaststätte „Stadt L.“ und vermarktete die Räumlichkeiten, wie es ihr gefiel. Dies führte nicht nur bei der Stadt Leinefelde, sondern auch im lokalen Einzelhandel zu Verärgerung.

Obwohl sich in der ehemaligen Kaufhalle „Blaues Wunder“ seit März 1990 bereits ein Edeka- Lebensmittelmarkt sowie eine Bäckerei niedergelassen hatten, vermietete die Treuhandanstalt die früheren Räumlichkeiten vom „Stadt L.“ an den Discounter TiP sowie an eine Bäckerei. Mit der Zerschlagung der TiP-Discount Handels GmbH und Co. KG durch die Eigentümerin, der Metro AG, im Jahre 1999 wurde der TiP-Markt im früheren „Stadt L.“ geschlossen und der Schlecker-Konzern errichtete dort eine Filiale.

Doch auch diesem Nachnutzungskonzept war kein Glück beschieden. Folglich stand das Objekt seit den 2000er Jahren leer und zog Vandalen an. Lediglich eine Spielhalle sowie ein Getränkemarkt konnten sich über längere Zeit noch halten. Erst jetzt, nachdem das einstige Vorzeigeobjekt „Stadt L.“ zu einem Schandfleck verkommen war und der Eigentümerin die laufenden Betriebskosten über den Kopf wuchsen, konnte die Stadt Leinefelde die Immobilie von der Treuhandanstalt bzw. deren Rechtsnachfolgerin erwerben.

Die Suche nach Investoren erwies sich jedoch als hoffnungslos. Wäre die Immobilie früher an die Stadt verkauft worden, hätte das Gebäude 1999/2000 als Expo-Projekt in die Stadtumbauplanungen einbezogen und für viel Geld saniert werden können. So aber wurden nur die Obereichsfeldhalle, der Zentrale Platz und der Fußgängerbereich vom „Blauen Wunder“ bis zum Zentralen Platz verschönert. Da die dringend notwendigen Investitionen für den „Stadt L.“-Komplex durch die Treuhandanstalt ausblieben, war Leinefelde schon bald um einen großen Schandfleck reicher.


Unter dem neuen Bürgermeister Marko Grosa (2016-2022) rückte die Immobilie wieder in den Fokus. Ein ambitionierter Plan der Stadtverwaltung sah vor, den gesamten Gebäudetrakt, in dem sich das „Blaue Wunder“, das einstige „Haus der Dienste“, die Stadtbibliothek, die Urania Bildungsgesellschaft und der Friseursalon Marco befanden, abzureißen. Im Gegenzug sollte der frühere „Stadt L.“-Komplex umfassend saniert werden und als neuer Sitz der Stadtbibliothek sowie der Urania Bildungsgesellschaft dienen.

8 Mio. Euro wollte der Freistaat Thüringen für die Umbaumaßnahmen bereitstellen. Aus einem eigens dafür ausgeschriebenen Wettbewerb ging das Architekturbüro Schettler & Partner aus Weimar als Sieger hervor. Dessen Projektentwurf war sogar in der 2020 erschienenen Festschrift „Leinefelde im Sozialismus“ abgedruckt (siehe Seite 100 f.). In der Folgezeit passierte jedoch nichts und in der Bevölkerung machte sich langsam Unmut breit. „In Leinefelde regiert wieder die KPD“ (KPD = Kein Pulver Da), spottete ein Einheimischer im persönlichen Gespräch, als im Mai 2022 die Baucontainer vor dem bereits umzäunten Gebäude verschwanden.

Aktuelle Ansicht vom einstigen Stadt L. Foto: Michael Kruppe

Bei der Kommunalwahl Ende Juni 2022 wurde der bisherige Bürgermeister Marko Grosa (CDU) abgewählt und durch Christian Zwingmann (parteilos) ersetzt. Kurz nach dessen Amtseinführung erfuhr die Öffentlichkeit, dass sich die Stadt Leinefelde-Worbis in einer dramatischen Haushaltslage befände und dass deshalb fast alle laufenden Projekte gestoppt werden müssten. Damit war klar, dass die ambitionierten Pläne zum Umbau des „Stadt L.“- Komplexes aufgegeben werden müssten. Seit Ende Dezember 2022 ist es nun amtlich. Dagegen werden im April 2023 der gesamte Gebäudetrakt, in dem sich das „Blaue Wunder“, das „Haus der Dienste“, die Stadtbibliothek, die Urania Bildungsgesellschaft und der Friseursalon Marco befanden, abgerissen.


Seit gut 30 Jahren stellt sich die Frage, wer Schuld am Niedergang des „Stadt L.“ und seinem jetzigen Zustand hat? Objektiv betrachtet, gibt es nur einen Hauptverantwortlichen und zwar die Treuhandanstalt. Die Schließung der Gaststätte mit Tanzbar und Eiscafé war nicht notwendig und stand schon damals im Widerspruch zu der Forderung des Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder: „Sanieren geht vor privatisieren!“. Außerdem führte die jahrelange Weigerung, die Immobilie an die Stadt Leinefelde zu verkaufen, dazu, dass das Objekt nicht als Expo-Projekt in die Stadtumbaupläne einbezogen werden konnte. Stattdessen hat die Treuhandanstalt das Haus so lange heruntergewirtschaftet, bis niemand mehr darin investieren wollte. Nur seinem Denkmalschutzstatus ist es zu verdanken, dass das „Stadt L.“ noch steht und nicht schon längst abgerissen wurde.
Michael Kruppe

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