Vor fast genau einem Jahr begann für alle eine besondere Zeit, eine sehr ungewöhnliche, weil niemand wusste, was die Pandemie bringen wird und wie lange sie anhält. Hoffnungen auf einen normalen Sommer waren bald dahin, ebenso für viele die Urlaubspläne.
Doch was macht solch eine Zeit mit denen, die Verantwortung für Städte und Gemeinden tragen? Wir fragten nach bei Marko Grosa, Bürgermeister der Stadt Leinefelde-Worbis.

1.Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie in den vergangenen 12 Monaten gemacht, von Beginn der Pandemie bis heute?

Marko Grosa: Seit Beginn der Pandemie gehen die Uhren in vielen Verwaltungen anders, besonders natürlich auch in unserer Stadtverwaltung. Für fast alles, was vorher selbstverständlich war, gibt es Einschränkungen und Vorgaben. Das betrifft Sitzungen der Stadt genauso, wie Veränderungen in den Arbeitsabläufen und fehlende Steuereinnahmen, die für die kommunalen Aufgaben jedoch gebraucht werden.

Amtshilfe für den Landkreis wurde im großen Stil selbstverständlich, denn die zuständige Behörde hatte bis dato für derartige Kontrollen weder Personal, noch eine entsprechende Bekleidung und Ausrüstung. Persönlich erkenne ich schon, dass meine vormalige Polizeibehörde sich geübter Maßen immer schneller gefunden hat, wenn es kurzfristig besondere Lagen zu bewältigen galt.

Aber ich sehe zumindest unser eigenes kommunales Haus für die Aufgaben als sehr leistungsfähig und fleißig an. Ich erkenne trotzdem, dass das Niveau anderen Ortes abfällt. Beispielsweise haben wir zeitweilig die halbe Stadtverwaltung zum Ordnungsamt umgebaut und unterstützen bis heute im Impfzentrum des Landkreises und bei anderen Aufgaben, für die wir eigentlich nicht zuständig sind, währenddessen sich das Ordnungsamt der Kreisstadt im Homeoffice befindet. Gern wird vom Landkreis auch auf unser Obdachlosenheim zugegriffen, weil in Heiligenstadt gar keines vorgehalten wird.

Scheinbar ganz nebenbei wurde auch noch die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im Altkreis Heiligenstadt geschlossen und Bodenstein blieb mit all den nationalitätsbedingten Problemen die einzige Einrichtung. Für den Landkreis ist es selbstverständlich, dass die Flüchtlinge, die Bleiberecht erhalten, dann automatisch Obdachlose im Stadtgebiet Leinefelde-Worbis sind und anschließend in die Zuständigkeit unseres Ordnungsamt fallen. Unser Stadtrat trägt dies allerdings so nicht mehr mit, was er in einem einstimmig gefassten Beschluss zum Thema deutlich machte.

So ist die Zeit unter Corona zusätzlich mit vielen anderen spannenden Themen angereichert und gefühlt sind wir die, an die unliebsame Aufgaben abgedrückt werden, währenddessen wir dort, wo wir Unterstützung bräuchten, eher die sprichwörtlichen Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen.

Nebenher erleben wir eine hochfrustrierte Bevölkerung, in der scheinbar jeder jeden anzeigt. Verliebte Bürger regen sich in Nebenkriegsschauplätzen über die Stadt zu Angelegenheiten auf, die an anderer Stelle entschieden wurden, weil wir als Kommune gar nicht zuständig sind. Zudem werden wir in zu vielen Fragen zum Sündenbock für weiß Gott wen und weiß Gott was gemacht, weil man am Ende mit sich selbst nicht mehr zufrieden ist. Das gehört zu den weniger guten Erfahrungen, die wir im zurückliegenden Jahr machen mussten.

2.Was haben Sie persönlich am meisten vermisst?

Marko Grosa: Zumindest musste ich meine Arbeit nicht vermissen, denn die ist trotz Corona keineswegs weniger geworden. Es fehlten eher die ausgleichenden Veranstaltungen, die Feste in den Dörfern und die Feiern in den Vereinen, die einen auch mal runterkommen lassen. All das ist ausgefallen, so wie auch die ein oder andere würdige Begehung von Anlässen bei erreichten Zielen der Stadt.

Nicht einmal die jahrelang vorbereitete Fusion der Wohnungsgesellschaften konnte würdig gefeiert werden. Meine Freizeit beschränkte sich aber trotzdem auf nur einen freien Abend pro Quartal, da alle anderen Sitzungen und Beratungen in den Ausschüssen, den Ortsteilräten und in der zweistelligen Zahl an Betrieben, die an der Stadt dranhängen, trotzdem stattgefunden haben. Weniger geworden sind da nur die Terminketten der Veranstaltungen, die sonst an Samstagen und Sonntagen auch noch stattfinden. Vermisst haben wir aber sogar die Zusammenkünfte der Mitarbeiter nach Dienstschluss, die tagsüber zwar zusammenarbeiten, am Abend aber nicht zusammen ein Bier trinken konnten.  

  3.Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, welche wären das?

Marko Grosa:  Natürlich wünscht man sich als Erstes Normalität in allen Fragen, die aufgrund der Corona-Pandemie, einschließlich der für uns notwendigen verlässlichen Steuereinnahmen offen sind, verbunden mit dem Runterfahren der zu hohen Frustration, die unter unserer Bevölkerung herrscht. In diesem zweiten Punkt wünsche ich mir mehr Genauigkeit bei Ursachen- und Schuldzuweisungen und, dass man nicht einfach ohne nachzudenken jeden Unsinn weiterkommuniziert, der einem erst kurz zuvor selbst vorgetragen wurde.

Als Kommunalpolitiker schaut man auch mit Sorge auf die Landtagswahl und wünscht sich schon, dass diese nicht zu einem vergleichbaren Desaster führt, wie die Zurückliegende. Hoffentlich geht der Findungsprozess dieses Mal schneller.

Ich habe erneut Unverständnis dafür, welche Parteien schon wieder vor der Wahl kommunizieren, mit wem sie alles nicht zusammenarbeiten werden. Nach der Pandemie stehen wir dahingehend auch vor einem Findungsprozess, dessen Ende nicht vorhersehbar ist. Ministerien, Minister- und Staatssekretärsstellen gilt es neu zu besetzen, hier und da vielleicht sogar Amts- und Referatsleiter. Möge die damit einhergehende Ohnmacht und das Entscheidungsvakuum so klein wie möglich sein.

Ich danke Marko Grosa herzlich, dass er sich die Zeit nahm, um die Fragen zu beantworten. 

Ilka Kühn

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