Nach jahrelangen Verhandlungen und Übergangsphasen konnten die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die künftige Zusammenarbeit laut Medienberichten heute doch noch zu einem positiven Abschluss gebracht werden. „Die Einigung in letzter Minute ist ein kleines Wunder – die jahrelange Hängepartie hat damit ein Ende“, sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee gestern in Erfurt. „Das Handelsabkommen ist von enormer Bedeutung für die Thüringer Wirtschaft.“

Während viel über die Handelsbeziehungen zu den USA und China gesprochen werde, käme die wirtschaftliche Verbindung Thüringens mit dem Vereinigten Königreich in der öffentlichen Wahrnehmung häufig zu kurz. Richtig sei aber: „Die britische Wirtschaft zählt zu den wichtigsten Außenhandelspartnern der Thüringer Unternehmen noch vor den USA und China.“ Tiefensee betonte, „ein Austritt Großbritanniens aus der EU ohne Folgeabkommen hätte auch in der Thüringer Wirtschaft spürbare Folgen hinterlassen“. Die nun erzielte Einigung bilde ein solides Fundament, um die Beziehungen auch in Zukunft erfolgreich, wenn auch nicht ganz ohne Hürden fortzuführen.

 Denn: Auch mit dem Handelsabkommen stellt der Brexit die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Thüringen und dem Vereinigten Königreich auf eine harte Probe. So gebe es nicht nur neue tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse, sondern auch – in der öffentlichen Diskussion bisher weniger beachtet – negative Folgen für wechselseitige Unternehmensbeteiligungen. „Für Unternehmen mit Beteiligungen oder Niederlassung im jeweils anderen Land sind Fragen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, des Kapitalverkehrs oder des Patentschutzes maßgeblich“, so der Minister. „Hier sind durch den Brexit auch mit dem Handelsabkommen neue Hürden entstanden, auf die sich die Unternehmen jetzt erst einmal einstellen müssen.“ Informationen und Veranstaltungen hierzu bieten die Thüringer Industrie- und Handelskammern und die Abteilung „Thüringen International“ der LEG Thüringen an – die entsprechenden Angebote und Termine finden sich im neuen Außenwirtschaftskalender von Kammern und LEG unter https://www.thueringer-aussenwirtschaftskalender.de/.

Dennoch sei das jetzt erzielte Ergebnis allemal besser als ein No-Deal, der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien schwer belastet hätte: Eine Bertelsmann-Studie war 2019 beispielsweise zu dem Ergebnis gekommen, dass ein harter Brexit für Thüringen einen Einkommensverlust von 155 Millionen Euro bedeuten würde – ein weicher Brexit den Freistaat aber immer noch 86 Millionen Euro kosten wird. Die Folgen eines ungeregelten Brexit für das Vereinigte Königreich selbst wurden aktuell aber durch die Schließung der Grenzen durch Frankreich angesichts der Mutation des Corona-Virus auf der britischen Insel deutlich: Im Falle eines Rückfalls der Beziehungen auf einen sogenannten Drittlandstatus käme die britische Wirtschaft aller Voraussicht nach weitgehend zum Erliegen. Zudem wäre die Lebensmittelversorgung auf der Insel nicht mehr sichergestellt.

Großbritannien zählt zu den wichtigsten Handelspartnern der Thüringer Wirtschaft. Im Jahr 2019 lag das Land mit einem Exportvolumen der Thüringer Wirtschaft von 1,1 Milliarden Euro auf Platz 2 der wichtigsten Exportziele, bei den Importen mit 1,2 Milliarden Euro sogar auf Platz 1 noch vor China. Insbesondere im Fahrzeug- und Maschinenbau bestehen sehr enge Handelsverflechtungen zwischen der Thüringer und der britischen Wirtschaft. Neben den Handelsbeziehungen sind auch die wechselseitigen Investitionsbeziehungen zwischen den Wirtschaftsräumen sehr eng. Nach Informationen der Landesentwicklungsgesellschaft bestehen 32 britische Beteiligungen an Thüringer Unternehmen (bspw. N3 Engine Overhaul Services GmbH & Co. KG). Gleichzeitig sind neun Thüringer Beteiligungen an britischen Unternehmen bekannt (bspw. durch die Bauerfeind AG).

Hinzu kommt: Nicht nur wirtschaftlich hat der Freistaat bislang einen guten Draht zur Insel, sondern auch im Bereich der Wissenschaft: Rund 200 Partnerschaften und Kontakte bestehen zwischen britischen und Thüringer Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen.

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