Im vergangenen Jahr mussten wir eine Erfahrung machen, die viele Menschen verstört hat: Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass unsere hochentwickelte Gesellschaft bei weitem nicht alles im Griff hat. Innerhalb von wenigen Wochen breitete sich das Virus über die ganze Welt aus. Wissenschaftler und Ärzte in aller Welt konnten nicht wirklich sicher sagen, wie sich das Virus ausbreitet. Sie konnten die Folgen einer Infektion nicht vorhersagen und wussten nicht, wie sie Infizierten behandeln sollen. Sehr rasch stand allerdings fest, dass die Infektionen über die Atemluft erfolgen. Also kamen als Schutzmaßnahmen Abstandsgebot, Mund-Nasen-Schutz und Kontaktbeschränkungen in Frage. Allerdings gab es keine sicheren Erkenntnisse darüber, in welchen Bereichen und in welchem Umfang Kontaktbeschränkungen wirkungsvoll sind. Diese Unsicherheit macht viele Menschen sehr nervös. Die Vorstellung, dass die Menschheit im Laufe der Zeit alle Probleme lösen wird, hat sich als Utopie erwiesen.

Mit dieser verstörenden und ernüchternden Erfahrung müssen wir in das neue Jahr 2021 gehen. Es ist aber auch die nüchterne Erfahrung der Realität des Lebens, die uns fragen lässt, was uns in allen Unwägbarkeiten trägt: Es sind vielleicht Ideale für unser Leben und unsere Welt, die motivieren und Kraft geben. Ich denke an die Jugendlichen, die mit großem Elan für die Zukunft unseres Planeten und gegen die Ursachen der Klima-Krise kämpfen. Vielen Menschen finden in diesen verstörenden Erfahrungen Halt in der Familie oder bei Menschen, mit denen sie ihr Leben teilen. Glaubende Menschen schöpfen Zuversicht aus der Hoffnung, dass auch das Jahr 2021 ein A.D., ein Annus Domini, ein Jahr des Herrn ist.

Vielleicht haben im vergangenen Jahr mehr Menschen über diese Fragen nachgedacht, weil die Corona-Pandemie und ihre Folgen das Leben entschleunigt haben. Hinter dem Weihnachtsbaum konnte nicht der gepackte Koffer für den Weihnachtsurlaub stehen. Nachdenken über die grundlegenden Fragen des Lebens tut not – nicht nur zum Jahreswechsel.

Ich wünsche allen Thüringerinnen und Thüringern ein gutes, gesundes und gesegnetes neues Jahr 2021.

Bischof Ulrich Neymeyr

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