Baumwollspinnerei Leinefelde (1965). Foto: Manfred Schmidt

Das Deutsche Historische Museum zeigt derzeit die Fotoausstellung: „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland ̋. Darin enthalten auch das einstige Aushängeschild für die Industrie im Eichsfeld: Die Baumwollspinnerei und Zwirnerei Leinefelde. Die Ausstellung ist noch bis 29. Mai 2023 zu sehen.


Erstmals werden diese eindrucksvollen Fotografien im Kontext ihrer
zeitgenössischen Verwendung gezeigt: nämlich in vielfältig gestalteten
Printmedien der Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie. Dabei richten die
Kuratorinnen Stefanie Regina Dietzel und Carola Jüllig den Blick auf die mit den
historischen Bildquellen verknüpften Vorstellungen und machen die Unterschiede
und Gemeinsamkeiten in den Darstellungen des Fortschritts – und damit des
Versprechens auf ein besseres Leben – in Ost und West sichtbar.


Die Fotografien aus der DHM-Sammlung sowie 40 Archiven und Museen sind vor
dem Hintergrund ihrer Entstehung zu sehen: Während die Bundesrepublik ab den
1950er Jahren einen beispiellosen ökonomischen Aufstieg vollzog, steuerte die
Wirtschaft der DDR bis Ende der 1980er Jahre zunehmend auf ihren Bankrott zu.

Die repräsentativen Auftragsfotografien spiegeln das Selbstverständnis beider
deutscher Staaten als Industrienationen und das damit verbundene Menschenbild. Sie geben wenig Aufschluss über tatsächliche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, vielmehr zeigen sie Inszenierungen der Wirklichkeit, mit denen Fortschrittsversprechen und Aufschwungserzählungen in DDR wie BRD
transportiert werden sollten.

Als Präsentationsmedium der technischen Entwicklungen und Leistungsfähigkeit
der auftraggebenden Industrien decken die Fotografien ein breites Spektrum an
Bildmotiven ab: Von den Arbeiterinnen und Arbeitern über die Produktionsschritte und die neuesten Maschinen bis hin zum industriellen Komplex selbst. Angefertigt von festangestellten oder freien Fotografinnen und Fotografen, wurden die Aufnahmen für Werkszeitschriften, Werbebroschüren, Produktkataloge, Festschriften oder Messestände verwendet, die Kundschaft, Investoren sowie potenzielle Beschäftigte ansprechen, aber auch die Konkurrenz beeindrucken sollten.

Die Ausstellung präsentiert auf 1.000 Quadratmetern neben Bildern bekannter
Vertreterinnen und Vertreter der Industriefotografie – wie Ludwig Windstosser
oder Wolfgang G. Schröter – noch nie gezeigte Fotos oft namenloser
Werksfotografinnen und -fotografen aus den exemplarisch ausgewählten
Branchen Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie. Nach einem Prolog zur
Kohle als Grundstoff der Industrie folgen die Museumsgäste vier industriellen
Bildwelten, die ein breites Spektrum repräsentativer Auftrags-fotografie in beiden
deutschen Staaten visualisieren.

Als eine der überraschendsten Eigenschaften der Industriefotografie erweist sich
die Stabilität der Bildsprache und -motive: Die rund 500 Fotografien sind sich nicht nur über die vier Jahrzehnte deutscher Teilung hinweg erstaunlich ähnlich, sondern sie sind auch nicht immer eindeutig der Bundesrepublik oder DDR zuzuordnen.

Im Bergbau dominieren dunkle Bilder, vorzugsweise in schwarz-weiß, die mit
Dunkelheit und harter Arbeit assoziiert sind. Die Produktion von Eisen und Stahl
zeichnet sich durch imposante Funkenregen aus. Scheinbar nicht enden wollende
Reihen von Spinnmaschinen finden sich in der Textilindustrie ebenso oft wie das
Versuchslabor mit seinen bunt gefüllten Kolben in der Chemieindustrie.

Diese Rückgriffe auf eine Motivik, die oft noch aus der Frühzeit der jeweiligen Branche stammt, verdeutlichen das Dilemma der Industriefotografie, nie wirklich innovativ sein zu können: Zwar steht sie sinnbildlich für die Innovationskraft der
Unternehmen und Betriebe, doch muss sie zugleich verständlich sein und bedient
sich deshalb bewährter und plakativer Bildtraditionen.

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