Zum 220. Geburtstag von Johann Carl Fuhlrott (1803-1877)

Ein Beitrag von Dr. Michael Kruppe


Wer in Deutschland eine Grundschule besucht, lernt bereits als Kind den Namen Johann Carl Fuhlrott kennen; dass er am 31. Dezember 1803 in Leinefelde geboren wurde und die 1856 im Neandertal zwischen Düsseldorf und Wuppertal aufgefundenen Knochen als Gebeine eines fossilen Menschen, dem „Homo [sapiens] neanderthalensis“, identifiziert hatte.

Fuhlrott-Gedenkstein in den 1970er Jahren.

Auch Ausländer, welche ab 1988 einen Deutschkurs für Erwachsene besuchten und dabei mit dem Lehrbuch „Sprachkurs Deutsch. Neufassung 2“ vom Verlag Moritz Diesterweg arbeiten mussten, wurden mit der Person Johann Carl Fuhlrotts und der Entdeckung des Neandertalers vertraut gemacht.


Zwar hatte das Eichsfeld viele berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht, aber J. C. Fuhlrott ist der einzige, welcher bereits seit Jahrzehnten einen Eintrag in einem gewöhnlichen Konversationslexikon vorweisen kann (z.B. dtv-Lexikon in 20 Bänden ab 1966 oder Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden ab 1981). Alle anderen eichsfelder Persönlichkeiten finden wir entweder in Speziallexika oder als Personen der Zeitgeschichte in Online-Lexika. Während in Leinefelde eine Regelschule und eine Straße Fuhlrotts Namen tragen, gibt es in Wuppertal ein Gymnasium sowie ein Museum, welche nach ihm benannt sind. Auch in den nordrheinwestfälischen Städten Mettmann und Erkrath findet man Fuhlrott-Schulen. Diese Erinnerungskultur ist jedoch erst im 20. Jahrhundert entstanden.


Obwohl er seine bahnbrechende Entdeckung bereits 1857 auf der Generalversammlung des Naturhistorischen Vereins der preußischen Rheinlande präsentiert hatte, dauerte es noch fast 70 Jahre, bis Fuhlrott endlich die Anerkennung bekam, welche ihm zu Lebzeiten verwehrt wurde. In der Zeit vom 19. bis 25. September 1926 tagte in Düsseldorf die 89. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Diese brachte bei der Gelegenheit in der Nähe des einstigen Fundorts eine Tafel an, welche an den Knochenfund des Neandertalers erinnerte und J. C. Fuhlrott namentlich erwähnte. In seiner eichsfelder Heimat ehrte man ihn erst fünf Jahre später.

Organisiert vom Verein für Eichsfeldische Heimatkunde fand am 27. Dezember 1931 im Rahmen eines Festakts die feierliche Einweihung einer Gedenktafel an Fuhlrotts Geburtshaus in der damaligen Dorfstraße (heute Fuhlrottstraße 44) statt. In dem früheren Gasthaus „Krämers“, welches der Familie Fuhlrott gehörte und seit 1904 „Zur Insel“ hieß, war der berühmte Wissenschaftler am Sylvestertag 1803 als Sohn des Gastwirts Johann Philipp Fuhlrott zur Welt gekommen. Bis zum Tod seiner Eltern 1814 wohnte er dort und wuchs danach in Seulingen bei seinem Onkel auf.


Die Gedenktafel, welche der Verein für Eichsfeldische Heimatkunde bei dem Bildhauer Schuchard aus Geismar in Auftrag gegeben hatte, stammte aus heimischem Eichenholz. Sie trägt die Inschrift „HIER WURDE GEBOREN AM 31. DEZ. 1803 PROF. DR. FUHLROTT, ENTDECKER DES NEANDERTALMENSCHEN“. Dass der Verein für Eichsfeldische Heimatkunde diese Ehrung an Fuhlrotts Geburtshaus organisierte, war kein Zufall, denn genau 25 Jahre zuvor hatte er sich dort gegründet.


Die Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) war sowohl Fluch als auch Segen für das Fuhlrott-Gedenken. 1937 erfolgte in Mettmann die Gründung des Urgeschichtlichen Museums Neandertal (heute „Neanderthal-Museum“), welches am 3. März 1938 eröffnet werden konnte. In Fuhlrotts eichsfelder Heimat kam das Gedenken jedoch vollständig zum Erliegen. Der „Eichsfelder Heimatbote“, den der „Bund der Eichsfelder Vereine in der Fremde“ seit 1922 als Zeitschrift herausgegeben hatte, wurde am 1. April 1943 verboten. Bedingt durch die Kriegsereignisse musste im selben Jahr auch der Verein für Eichsfeldische Heimatkunde seine Aktivitäten einstellen.


Am 12. Januar 1949 erließ das Innenministerium des Landes Thüringen eine Verordnung zur Überführung der Volksbildungsgruppen und volksbildenden Vereine in die bestehenden Massenorganisationen. Mit Letzterem war der so genannte „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gemeint, welcher ab 1958 „Deutscher Kulturbund“ und ab 1974 „Kulturbund der DDR“ hieß. Die Verordnung vom 12. Januar 1949 und deren Ausführungsbestimmungen hatten u.a. die Auflösung aller Geschichtsvereine in Thüringen zur Folge. Davon betroffen war auch der Verein für Eichsfeldische Heimatkunde. Die dadurch entstandene Lücke konnte selbst der so genannte „Johann-Carl-Fuhlrott-Klub“ nicht schließen, welcher am 5. April 1965 in Leinefelde als Klub der Intelligenz im Deutschen Kulturbund gegründet worden war. Um im geteilten Eichsfeld weiterhin das Andenken an J. C. Fuhlrott pflegen zu können, bedurfte es der tatkräftigen Unterstützung aus dem Westen.

Am Sonntag, den 21. Oktober 1956, rückte Leinefelde einen Tag lang in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Anlässlich des 100. Jahrestages der Knochenfunde im Neandertal wurde im Garten von J. C. Fuhlrotts Geburtshaus ein Gedenkstein enthüllt und die Dorfstraße in Johann-Carl-Fuhlrott-Straße umbenannt. Eine fast 60köpfige Delegation namhafter Wissenschaftler aus der DDR, BRD, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei war eigens dazu angereist. „Fuhlrott gehört nicht allein Leinefelde, nicht allein Bonn oder Düsseldorf, sondern Fuhlrott gehört der ganzen Welt!“, erklärte Prof. Dr. Günter Behm- Blancke, Direktor des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar in seiner Laudatio vor mehreren hundert Zuschauern.

Die Einweihungsfeier kam einer gesamtdeutschen Verbrüderung gleich. Aus diesem Grund war auch das Fuhlrott-Denkmal eine Koproduktion beider Staaten. Der Stein selbst besteht aus Thüringer Travertin und stammt aus dem Travertin-Steinbruch Weimar-Ehringsdorf. Die Bronzetafel mit dem Bildnis von J. C. Fuhlrott stammt dagegen aus dem Rheinland. Sie wurde von dem Düsseldorfer Bildhauer Kurt Zimmermann geschaffen und ist ein Geschenk des Landschaftsverbands Rheinland. Unter der Bronzetafel stehen die Worte: „DEM ENTDECKER DES NEANDERTALER URMENSCHEN ZUM GEDÄCHTNIS. SEINE ERKENNTNIS FÖRDERTE DAS WISSEN UM DEN WERDEGANG DES MENSCHENGESCHLECHTS“.

In der letzten Septemberwoche des Jahres 1977 feierte Leinefelde sein 750jähriges Bestehen. Das Jubiläum fiel zeitlich zusammen mit dem 100. Todestag von J. C. Fuhlrott am 17. Oktober 1877. Zu diesem Anlass gab die Stadt eine offizielle Gedenkmedaille heraus, welche auf der Vorderseite das Leinefelder Stadtwappen und die stilisierte Ansicht des VEB Baumwollspinnerei und Zwirnerei „Ernst Thälmann“ zeigt. Auf der Rückseite ist das Portrait von J. C. Fuhlrott zu sehen. Die Medaille erschien einmal als reine Silberedition (Auflage: 220 Stück) und als Neusilberlegierung (Auflage: 5500 Stück). Zusätzlich dazu gab der HO- Kreisbetrieb Worbis als Souvenirartikel für die Besucher der Festwoche eine achtteilige Medaillen-Kollektion heraus. Diese zeigen die Wahrzeichen Leinefeldes, u.a. das Fuhlrott- Denkmal. Die acht HO-Medaillen bestehen aus Neusilber und besaßen eine Auflage von 500 bis 1000 Stück.

Während der 750-Jahrfeier von Leinefelde und auch schon davor hatte sich gezeigt, dass der Standort des Fuhlrott-Denkmals im Garten neben seinem Geburtshaus unglücklich gewählt war. Man fand ihn nicht repräsentativ genug und durch die ständig steigende Einwohner- und Schülerzahl kamen immer mehr Besucher in die Fuhlrottstraße. Der Pilgerstrom wurde irgendwann zum Problem. Aus diesem Grund erbaten einige Einwohner Leinefeldes von ihrer Stadtverwaltung einen besseren Standort. Man fand ihn oberhalb der Alten Kirche St. Maria Magdalena an der Steinmauer neben der Halle-Kassler-Straße (heute Heiligenstädter Straße). Im April 1981 wurde das Fuhlrott-Denkmal umgesetzt und mit einem repräsentativen Vorplatz versehen. Dort avancierte es zum beliebten Postkartenmotiv.

Mit dem Untergang der DDR verschwand 1990 auch der Kulturbund als Massenorganisation. Seine Arbeitsgemeinschaften und Klubs erlangten dadurch ihre Selbständigkeit zurück. Am 6. September 1991 wurde im Eichsfelder Kulturhaus in Heiligenstadt der Verein für Eichsfeldische Heimatkunde neu gegründet. In Leinefelde entstand 1992/93 aus dem Johann- Carl-Fuhlrott-Klub der „Heimat- und Verkehrsverein „Johann Carl Fuhlrott“ e.V.“ Damit gab es von nun an zwei Vereine, welche das Andenken an den berühmten Wissenschaftler im Eichsfeld pflegten. Das verhinderte jedoch nicht, dass das Fuhlrott-Denkmal in der Heiligenstädter Straße immer wieder dem Vandalismus zum Opfer fiel.

Im April 2002 wurde bekannt, dass mit der grundhaften Sanierung der Fuhlrott-Straße auch das Fuhlrott-Denkmal wieder zurück an seinen Ursprungsort gelangen sollte. Mit der Projektierung hatte die Leinefelder Stadtverwaltung das Architekturbüro Stadermann in Hausen beauftragt. Im Juli 2003 wurde der Gedenkstein in der Heiligenstädter Straße abmontiert und zur Restauration an ein Natursteinwerk in Bad Langensalza geschickt. Dort fertigte man aus dem erwähnten Travertin-Steinbruch in Weimar-Ehringsdorf eine Stele an, in die der bisherige Gedenkstein ästhetisch eingefasst wurde. Da von der alten Inschrift bereits einzelne Buchstaben fehlten, wurde eine neue Inschrift mit demselben Wortlaut und größeren Buchstaben erstellt. Der Text verteilte sich jedoch nun auf beide Steine.

Die Finanzierung für das aufwendige Vorhaben trugen die Stiftung der Kreissparkasse Eichsfeld, die Stadt Leinefelde sowie die Leinefelder Stadtwerke. Am Samstag, den 25. Oktober 2003, konnte das neue (alte) Denkmal vor dem Geburtshaus von J. C. Fuhlrott feierlich eingeweiht werden. Dort steht es bis heute und erinnert an einen der bedeutendsten Forscher des 19. Jahrhunderts.
Michael Kruppe

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