Horst Dornieden (li.) und Wolfgang Nolte sind heute beim Zeitzeugenforum im Grenzlandmuseum dabei. Foto: Grenzlandmuseum

Teistungen. Vor 50 Jahren, am 21. Juni 1973, wurde der innerdeutsche Grenzübergang Duderstadt/Worbis eröffnet. Gut 20 Jahre nach der Grenzabriegelung von 1952 wurde die
Verbindung zwischen Ost und West an dieser Stelle wieder hergestellt, wenn auch unter
strengsten Kontrollen auf ostdeutscher Seite sowie aufwendigen Regularien, die oft genug
von den verantwortlichen DDR-Stellen willkürlich ausgelegt wurden. Bis zur Grenzöffnung im
November 1989 passierten rund sechs Mio. Reisende den Grenzübergang Duderstadt-Worbis.

Die Geschichte dieser Zeit wird lebendig durch die Erinnerungen von Zeitzeugen. Ein ganz
persönlicher, auch emotionaler Blick auf die Ereignisse verdeutlicht zudem die Komplexität
von historischen Entwicklungen. Denn Menschen sind direkt oder indirekt beteiligt an der
Gestaltung von Gegenwart und Zukunft.

Mit ihrem persönlichen Blick auf die Geschehnisse vor 50 Jahren laden die beiden
Vorsitzenden des Trägervereins des Grenzlandmuseums Eichsfeld, Horst Dornieden und
Wolfgang Nolte, dazu ein, sich gemeinsam an den Bau und die Eröffnung des
Grenzübergangs Duderstadt-Worbis zu erinnern. Horst Dornieden lebte damals in
Teistungen im Sperrgebiet der DDR, Wolfgang Nolte war in Duderstadt im westdeutschen
Teil des Eichsfelds zu Hause.

Beide berichten, wie schwierig es vor 1973 war, die Verwandten auf der jeweils anderen
Seite der innerdeutschen Grenze zu sehen, die die Menschen im Eichsfeld voneinander
trennte. „Mein Onkel lebte in Gernrode. Der Kontakt beschränkte sich auf Briefe und
Weihnachtspäckchen“, erinnert sich Wolfgang Nolte. Die Großmutter von Horst Dornieden
lebte im Westerwald. Sie war mit ihrer Familie nach der Zwangsaussiedlung von 1952 in die
Bundesrepublik geflohen. Regelmäßig versuchte sie die Familie in Teistungen mit allem, was
benötigt wurde, zu versorgen. Da Teistungen im Sperrgebiet der DDR lag, war ein Besuch
nicht möglich, da Westdeutsche keine Genehmigungen für das Sperrgebiet bekommen
konnten.

Anfang 1973 begann der Bau der Grenzübergangsstelle Duderstadt-Worbis. Während die
Bautätigkeiten auf westdeutscher Seite in den Medien verfolgt und kommentiert wurden,
war es für die Menschen in der DDR unmöglich, direkt an die Grenze oder die Baustelle zu
gelangen. Dennoch nahmen vor allem die Teistunger die drastischen Maßnahmen sowohl
zur „Sicherung“ des Grenzgebietes auf Seiten der DDR und die fortschreitende Abschottung
wahr sowie die Bautätigkeiten. Ohne jedoch zu wissen, was genau gebaut wurde.

„Das Kloster Teistungenburg, das direkt an der Grenze lag, wurde gesprengt. Die Menschen, die
dort lebten, wurden in neu gebaute Wohnblocks in Teistungen untergebracht. Wir wunderten uns, dass sogar das Wehr an der Hahle gesprengt wurde, die Mühle wurde konfisziert, die Fischteiche trockengelegt. Es wurden Bäume gefällt und wahnsinnig viel Erde bewegt, aber uns wurde nicht mitgeteilt, was hier vor sich ging“, erinnert sich Horst Dornieden, der damals 15 Jahre alt war.

Die einzigen Informationen habe es über das Westfernsehen gegeben, das alle, die es empfangen konnten, heimlich sehen mussten. „So erfuhren wir, dass hier ein Grenzübergang entstehen sollte“, erklärt er. „Irgendwann kommen die Westautos!“, erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand im Sperrgebiet. Doch jeglicher Kontakt zu den Einreisenden aus der Bundesrepublik wurde untersagt.

„Falls uns jemand nach dem Weg fragte, durften wir nicht antworten. Da kamen wir uns als
Jugendliche schon sehr seltsam vor, wenn uns das Sprechen vom Staat verboten wurde“,
schildert Horst Dornieden seine Eindrücke nach der Inbetriebnahme des Grenzübergangs.

„Mit den Autos kommt die Ideologie.“, heißt es in einem Stasi-Dokument. Die meisten westlichen Waren und Medien waren in der DDR verboten. Dennoch versuchten viele Westdeutsche, ihren ostdeutschen Verwandten allerhand Produkte mitzubringen, die in der DDR begehrt waren: von Bohnenkaffee und Schokolade über Zeitschriften und Textilien bis zu Schlachtereibedarf wurde alles geschmuggelt. Sowohl Wolfgang Nolte als auch Horst Dornieden erinnern sich an die Schweinedärme, die zur Eichsfelder Hausschlachtung benötigt wurden, und die sich die Verwandten vor der Einreise in die DDR um den eigenen Leib wickelten, damit sie nicht von den Grenzsoldaten konfisziert würden.

Als der Grenzübergang am 21. Juni 1973 eröffnet wurde, war Wolfgang Nolte als 26-Jähriger
bereits in der Duderstädter Stadtverwaltung tätig. Insgesamt wurden an der innerdeutschen
Grenze zu dem Zeitpunkt vier Übergänge für den „Kleinen Grenzverkehr“ geöffnet. „Trotz der Freude über diese Möglichkeit der Begegnungen zwischen Ost und West gab es in meiner Familie auch Vorbehalte“, erzählt Wolfgang Nolte. „Wir bekamen etwas, aber welchen Preis würden wir dafür zahlen? Würde der Bau des Grenzübergangs die brutale Abschottung an der Grenze und die Teilung Deutschlands zementieren? Der Grundlagenvertrag von 1972 bedeutete zugleich die Anerkennung der DDR als eigener Staat, darüber diskutierten wir in der Familie. Der Glaube an die Einheit war bei uns immer lebendig, das lag auch an der religiösen Verbindung und den Wallfahrten“, erklärt der Duderstädter.

Trotz aller Vorbehalte sei aber die Möglichkeit, den Onkel im thüringischen Teil des Eichsfelds besuchen zu können, gern wahrgenommen worden. So reiste Wolfgang Nolte ein paar Wochen nach der Eröffnung des Grenzübergangs zur thüringischen Verwandtschaft und nutzte in den folgenden Jahren vielfach die Möglichkeit zu Tagesreisen, um an Familienfeiern, Gottesdiensten etc. teilzunehmen. Dafür nahm seine Familie einige Schikanen bei der Einreise in Kauf. Von langwierigen Kontrollen über entwürdigende Leibesvisiten bis zu relativ unproblematischen Abwicklungen gehörte in den Jahren bis zur Grenzöffnung alles dazu.

Bei Horst Dornieden dauerte es bis 1988, dass sein Antrag auf einen Besuch zur Silberhochzeit bei Verwandten in der Bundesrepublik genehmigt wurde. Auf dem Rückweg fuhr er über den Grenzübergang Duderstadt/Worbis zurück nach Teistungen.

Zu den Reiseregelungen
Während der Besuch für Westdeutsche in der DDR bis 1972 schwierig und kaum geregelt war, war es für Ostdeutsche, mit Ausnahme von Rentnern, fast unmöglich in die Bundesrepublik zu reisen. Im Zuge der Entspannungspolitik der sozialliberalen Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt kam es zu den ersten deutsch-deutschen Verträgen. Mit dem Grundlagenvertrag wurden Reiseerleichterungen für beide Seiten festgelegt.

Nach dem Berliner Mauerbau 1961 war es DDR-Bürgern vorübergehend verboten in die Bundesrepublik zu reisen. Ab November 1964 durften Rentner ausreisen, um Verwandte in
der Bundesrepublik oder in West-Berlin zu besuchen. Ab 1972/73 durften auch Personen
unterhalb des Rentenalters „in dringenden Familienangelegenheiten“ zu Verwandten ersten
Grades in die Bundesrepublik reisen.

Ab 1982 konnten auch Reisegenehmigungen für Einladungen zu Konfirmationen/ Erstkommunionen und runden Geburtstagen ab 60 Jahren sowie allen Geburtstagen ab 75. Lebensjahr erteilt werden. Allerdings blieben Ehepartner, Kinder usw. meist zurück in der DDR, um eine „Nichtrückkehr“ zu verhindern.

Die Beantragung war sehr aufwendig für die DDR-Bürger. Sie mussten sich sechs Wochen vor
dem Reisetermin bei der Volkspolizei melden und einen Antrag sowie einen weiteren „Antrag zum Erhalt eines Reisepasses“ stellen. Zu einer genauen Befragung kam eine Beurteilung bzw. Zustimmung der Kaderleitung des Betriebes, in dem man angestellt war. In der Regel gab es zusätzlich Überprüfungen durch Volkspolizei und/oder das Ministerium für Staatssicherheit. Die Genehmigung wurde in der Regel erst kurz vor Reise bekannt gegeben und am Vortag der Reise erhielten die DDR-Bürger den Reisepass, die Zählkarte und die Zoll- und Devisenerklärung. Außerdem mussten 60 DDR-Mark bezahlt werden. Von der DDR-Staatsbank erhielt man 15 DM als Reisezahlungsmittel.

Westdeutsche durften bis 1972 nur einmal im Jahr Verwandte ersten oder zweiten Grades in
der DDR besuchen und die Einreise mit dem Auto war nur in Ausnahmefällen erlaubt. Ab 1972/1973 durfte man häufiger einreisen und es waren nun nicht mehr nur Verwandtschaftsbesuche, sondern auch touristische Reisen in die DDR möglich. Der „Kleine
Grenzverkehr“ erlaubte Menschen in 56 grenznahen Stadt- und Landkreisen der Bundesrepublik (bis ca. 120 km von der innerdeutschen Grenze entfernt gelegen) einen Tagesbesuch in 54 grenznahen Städten und Kreisen in der DDR, ab 1984 sogar zwei Tage.


Ausgenommen blieben die Orte im Grenzsperrgebiet wie Teistungen. Möglich war auch ein
„Mehrfachberechtigungsschein“ mit dem innerhalb von drei Monaten neun Mal in die grenznahen Kreise eingereist werden durfte, im Jahr aber nur maximal 30 Tage, um Verwandte zu besuchen oder aus touristischen Gründen.

Bundesbürger mussten dafür mindestens vier Wochen vor dem Reisetermin bei den DDR-Behörden einen Berechtigungsschein für ein Visum beantragen oder beantragen lassen. Das
Einreisevisum kostete 15,- DM, bei einer Tagesreise 5,- DM. Hinzu kam der „Mindestumtausch“ (offizieller Begriff der DDR) bzw. „Zwangsumtausch“ (Begriff den die westdeutschen Reisenden beschreibend verwendeten). Seit 1980 lag der Betrag bei 25 DM, die pro Tag pro Person 1:1 in DDR-Mark umgetauscht werden mussten.


„Damit die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, und um auch Rückschlüsse auf die Gegenwart ziehen zu können, ist es wichtig, die Ereignisse der Vergangenheit für die nachfolgenden Generationen zu dokumentieren“, sagt Wolfgang Nolte, der sich mit Horst Dornieden direkt nach der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung für die Gründung des Grenzlandmuseums am authentischen Geschichtsort stark gemacht hatte. Mit einer Veranstaltungsreihe erinnert das Museumsteam an den „Kleinen Grenzverkehr“. Ein Zeitzeugenforum wird es am Sonntag, dem 25. Juni um 15:00 Uhr geben. Horst Dornieden und Wolfgang Nolte rufen Zeitzeugen auf, von ihren Erfahrungen zu berichten. „Es gibt noch viele Lücken in der Aufarbeitung der Geschichte. Wir freuen uns, wenn die Menschen uns von ihren Initiativen erzählen, die dazu beigetragen haben, die Kontakte trotz Trennung durch die innerdeutsche Grenze zu erhalten,“ sagt Horst Dornieden.

Aus der Veranstaltungsreihe 50 Jahre Kleiner Grenzverkehr

25.06.2023 „Tag der offenen Tür“ im Grenzlandmuseum
10-18 Uhr Open-Air-Ausstellung „50 Jahre Kleiner Grenzverkehr“
stündlich Sonderführungen zur Geschichte des Grenzübergangs

Zeitzeugenforum um 15:00 Uhr
Freier Eintritt im Museum

06.07.2023 „Urlaub Macht Geschichte – Reisen und Tourismus in der DDR“
19:00 Uhr Vortrag mit Prof. Dr. Hasso Spode, Berlin

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