Karl Schollmeyer sen. um 1940 mit einer mobilen Kreissäge zum Brennholz sägen auf einem umgebauten Opel. Foto: Karl Schollmeyer, Birkungen

Von Walter Jakobshagen

Mit einer Urkunde vom März des Jahres 1191 bestätigt Erzbischof Konrad I. dem Kloster Albolderode (Reifenstein) Schenkungen der verwitweten Gräfin Guda von Gleichen. In Zeiten, als Holz der Begriff für Wald war, musste kein Anwohner seine Bedeutung als unersetzbare Lebensgrundlage hervorheben. Das Holz reichte in alle menschlichen Lebensbereiche hinein.

Urkundenauszug – Quelle: Landesarchiv Sachsen-Anhalt (LASA), U 18 Eichsfeld, I Nr. 1

Dass nun ein Walddorf am Dünhang zur Kessellage von Ohne und Leine hin den Maienbaum Birke als Namen erhielt, weist auf dessen hiesiges Vorkommen hin. Auf den teils blank liegenden und mit geringer Krume versehenen Muschelkalksedimenten konnte dieses Pioniergehölz wurzeln. Die Bedeutung der Birke wie anderer Baumarten reicht natürlich viel weiter in die Geschichte zurück als die Namenserwähnung in einer Urkunde aus dem Jahre 1191; ganz gewiss bis in Zeiten thüringischer, fränkischer und sächsischer Siedlungsperioden.

Aus jener Zeit ist bspw. die Wüstung Wedehagen eher sächsisch beeinflusst, die Burg Birkenstein hingegen wohl mehr thüringisch zu verorten. Die Region ist also Teil des legendären Grenzgebietes, von dem sich noch heute unsere Mundarten herleiten. Unter dem Zu- und Wegzug der beteiligten Siedlungsstämme werden indigene Stammesgruppen sesshaft in ihren Siedlungsstrukturen geworden sein. 

Der Birkenstein mit seiner Burg war zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert eine regionale Gebietsherrschaft, zu der auch Birkungen gehörte. Mit der Gründung des Reifensteiner (vormals Albolderode) Klosters 1162 sowie dem vogteilichen Ausbau des Scharfensteins verlor die Burg Birkenstein jedoch ihren Einfluss. 1294 wurde sie vom Mainzer Erzbischof gekauft. Die seit dem 9. Jahrhundert gewachsene Zahl von Rodesiedlungen, wie Luterode, Heddigerode oder Kirrode unterlagen bis zum 15. Jahrhundert vielfältigen Veränderungen, infolge dessen viele wieder wüst fielen und Birkungen dadurch wuchs.

Wenn bereits die Jüngsten das Werkzeug von Großvater und Vater in die Hand gedrückt bekommen, werden sie’s als Lehrlinge einst beibehalten. Die alte Werkstatt Rensch Anfang des 20. Jahrhunderts. Foto: Walter Jakobshagen, Birkungen

Bis in die Gegenwart blieb das Holz Roh- und Werkstoff vielfältigster Birkunger Gewerbe. Eine der frühesten überlieferten Örtlichkeiten in Birkungen ist die Holzmarke, heute als kurze Wegeverbindung zwischen der Johannesstraße und der Straße Hinter den Höfen bekannt. In ihrem Ursprung galt sie als Grenze zwischen Waldeignern, Sammel- und Handelsplatz sowie als Ort der Bevorratung.

Ringsum lassen sich in der Geschichte holzverarbeitende Gewerke ausfindig machen. So ist in der vom erzbischöflichen Amtmann für 1548 aufgestellten Türkensteuerliste für Birkungen „der Schreiner“ mit 6 Groschen und 2 Pfennigen aufgeführt. 1664 wird hier der Kipffauf aufgeführt, der Rungenmacher. Auf der nördlichen Seite des Gelsebaches seien die Roggens genannt, die zwischen 1764 und 1994 in sieben Generationen Bau- und Möbeltischler waren. 

Wer ehemals Gespannwagen fertigte, konnte seine Fähigkeiten aber auch zu filigranem Kirchenmobilar entfalten. Lorentz Wag(e)ner wird 1695 als Tischler der Barockkanzel in der Pfarrkirche von Niederorschel erwähnt. Tischlermeister Franz Hunold wird 1850 als ein „Meister für Kirchen- und Altarschmuck“ genannt, der sein Wohnhaus den Schülern der Birkunger Flachsbauschule zur Verfügung stellte. Heute betreibt die Familie Schneider auf dem sanierten und umgebauten Gelände eine Tischlerei.

Vom Stellmacher wird eine Speiche zwischen Nabe und Felge eingepasst.

Zu den Stellmachern des 19. und 20. Jahrhunderts gehörten die Fuhlrotts in der Schulzengasse sowie die Schollmeyers in der Herrengasse. 

Gebündeltes holzverarbeitendes Werken mit Sägewerk, Zimmerei und Baugeschäft finden wir bei den Gebrüdern Karl und Henriks Siebert etwa ab 1908, bei Zacharias Grimm und Söhnen am Mühlweg ab 1909 und bei Ignaz Hunold ab 1931 in der Siechenstraße. Die Möbeltischlerei Rensch arbeitete von etwa 1870 bis 1960. Die Kombination aller verfügbaren Baustoffe prägte auch den Holzbau. Die über Jahrhunderte vorherrschende Bauweise mit Fachwerkgebälk wurde jedoch zunehmend durch Ziegelsteinverwendung ersetzt. 

Wie bei allen Meisterbetrieben wurden Generationen von Lehrlingen des eigenen Dorfes als auch der Nachbardörfer ausgebildet, um das Handwerk fortzuführen. Lehrling der Möbeltischlerei Rensch war auch Hubert Hunold, dessen Sohn Ingolf wie auch wiederum Sohn Michael nun in fünfter Generation als Tischler tätig sind. Zu den Lehrlingen bei seinem Onkel Ignaz Hunold gehörte auch Emil Hunold, langjähriger Lehrmeister, Obermeister der Bauinnung Obereichsfeld und Präsident des Zweckverbandes ostdeutscher Bauverbände. 1993 entstand die nun von seiner Tochter geführte Firma Holzbau Hunold im Leinefelder Gewerbegebiet Nord. 

Mit Jacob Otto, dem Schafmeister vom Scharfenstein kam eine neuere Böttcherei nach Birkungen. Jacob Otto erbaute 1820 im Wiesengraben sein Wohnhaus. Sein Sohn Fridolin begründete die Böttcherei. Dessen Sohn und Enkel führten die Böttcherei als Bau- und Möbeltischlerei bis 1996 fort. Schnitzerei und Bildhauerei erlebten durch Zuzug nach dem Zweiten Weltkrieg ein kurzes Aufleben, so durch Erich Klinkhof und Franz Filips.

Der große Unterschied zu allem städtischen und vorindustriellen Gewerbe aber blieb über Jahrhunderte ihre ländlich-dörfliche Verbundenheit. Gesägt, gezimmert und getischlert wurde für den zumeist nahen Gebrauch. Das bedingte in vielen Höfen und Gewerken Zweit- und Dritteinkünfte zur Einkommensabsicherung. Die zum Gerechtigkeitshaus gehörende Flur wurde noch selbst bearbeitet. In Scheune, Hof und Ställen befanden sich zur Eigenversorgung Kühe, Schweine, Ziegen und Hühner.

Die Stellmacher Karl Apel und Franz Fuhlrott besorgten das Amt des Fleischbeschauers in der Hausschlachterei, Adolf und Ferdi Rogge waren im Eichsfeld bekannte Bienenzüchter, Schollmeyers und Grimms betrieben zwischen 1930 bis in 1960er Jahre den Getreidedrusch während der Erntezeit. Hieronymus Apel übernahm als Stellmacher in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts die Birkunger Gemeindeschenke als Gastwirt, gab Unterricht in der Schule und nahm das Amt des Dorfschulzen in seinem Wohnhaus wahr. Die Stellmacherei hatte in den Jahrhunderten der Wolle- und Flachsverarbeitung in Birkungen eine herausragende Bedeutung für die Herstellung von Spinn- und Webstühlen, den Weifen und Vielem mehr. Anfang des 19. Jahrhunderts zählte man in Birkungen zwischen 40 und 50 Webstühle. 

Auf der „Walz“ waren nach dem Niedergang der Weberei in Birkungen enorm viele Wander- und Saisonarbeiter. Hinzu kamen Wegzug und Auswanderung. Neben dem magisch anziehenden Ruhrgebiet war auch Berlin nach der Reichsgründung Zuzugsgebiet. Allein drei Tischer gründeten in den 1880er Jahren in Berlin ihre neue Existenz. Eine davon begann als Sargtischlerei, heute ein stadtbekanntes Bestattungsunternehmen. Mit welchen Anteilen berufliches Handwerk und weitere Nebengewerbe zueinanderstanden, wurde von familiären, regionalen und überregionalen Wirtschaftsentwicklungen bestimmt. 

Mit dem Entstehen industrieller Holz- und Möbelfabriken im Eichsfeld konnten auch Birkunger Tischler in der Heimat wieder vermehrt Arbeit finden. Um 1950 pendelten täglich aus Birkungen etwa sechs bis acht Tischler in das Sperrholzwerk nach Gernrode/Niederorschel. Zu DDR-Zeiten nahm das holzverarbeitende Gewerbe in allen drei Eigentumsformen – privat, genossenschaftlich und mit staatlicher Beteiligung – seinen Fortgang. Dabei erreichten Betriebe durch Aus- und Anbauten, z.B. die „Eichsfelder Möbelwerkstätten“ in der Grimm’schen Tischlerei, zuvor in Birkungen nicht gewesene Größen von 10 bis 60 Mitarbeitern.

Die Entwicklung landwirtschaftlicher Großbetriebe als LPG und später die Agrargenossenschaften minderten die kleine Landwirtschaft in Handwerkskreisen, neue Holzbearbeitungsmaschinen, Verkehrs- und Transportbeschleunigung ließen Betriebe entstehen, die mit ihrer Spezialisierung und Produktivität deutschlandweit agieren konnten.

Die Geschichte holzverarbeitender Betriebe ist jedoch nicht wirklichkeitsnah, wenn die vom grässlichen Feuerteufel verursachten Katastrophen ausgelassen werden. So brannte 1929 der Grimm’sche Zimmerbetrieb am Mühlweg ab, 1964 die Zimmerei und der Sägewerksbetrieb von Ignaz Hunold; 2004 brannte es in der Werkstatt von Emil Hunold in Birkungen, 2012 bei Hubert Hunold. 

Walter Jakobshagen

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