
Leinefelde. Am vergangenen Donnerstagabend zeigte sich in der Urania einmal mehr, wie sehr das Thema Baumwollspinnerei die Menschen in Leinefelde und darüber hinaus noch immer bewegt. Rund 50 Besucherinnen und Besucher kamen zum Vortrag von Manfred Hantke, einem der wenigen Zeitzeugen, die den Aufbau, den Betrieb und das Ende der Baumwollspinnerei und Zwirnerei Leinefelde miterlebt haben.
So groß war das Interesse, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten. Viele von den Besuchern hatte selbst mit der Baumwollspinnerei zu tun gehabt.

Der Vorsitzende der Urania, Dr. Karl-Josef Löffelholz begrüßte den Referenten und die zahlreichen Gäste herzlich. Manfred Hantke, ehemaliger Bereichsleiter im einstigen Großbetrieb, spannte in seinem Vortrag einen weiten Bogen – von der Geschichte, der Standortsuche bis hin zur Schließung des einst größten Arbeitgebers der Region. Er erklärte, warum Leinefelde ausgewählt wurde: gute Verkehrsanbindung per Straße und Bahn, ausreichend Fläche und der politische Wille, das Eichsfeld industriell zu entwickeln.
Mit zahlreichen Bildern und persönlichen Erinnerungen ließ Manfred Hantke eine Zeit der DDR lebendig werden, in der Leinefelde vom Dorf zur Stadt wurde. Immer wieder war im Publikum leises Raunen zu hören, wenn bekannte Gesichter auf den alten Fotos auftauchten. „Vieles, was später über die Spinnerei geschrieben wurde, ist schlichtweg falsch“, sagte Manfred Hantke gleich zu Beginn – und nahm die Zuhörer mit auf eine faktenreiche, ehrliche Zeitreise durch vier Jahrzehnte Betriebs- und Stadtgeschichte. Den die Stadt Leinefelde (heute Leinefelde-Worbis) hätte es ohne die Spinne, wie der Betrieb genannt wurde, nicht gegeben.
Über 4.500 Menschen fanden dort einst Arbeit (davon 500 Lehrlinge eine Ausbildung) – ein Stück Identität, das nicht verloren gehen darf. Mit seinem Vortrag hat er eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig Zeitzeugenberichte für das kollektive Gedächtnis einer Stadt sind. Besonders seine persönlichen Episoden fanden großen Beifall und waren mitunter auch zum Schmunzeln.
Ich selbst habe drei Jahre Manfred Hantke in der Baumwollspinnerei erlebt, wo meine journalistische Laufbahn in der Betriebszeitung ihren Anfang nahm. Er war für die Leitung des Betriebes nicht immer ein bequemer Partner als Bereichsleiter. Er hielt nie mit seinen Argumenten hinterm Berg. Eine seiner größten Herausforderungen war wohl der Streik eines Frauenteams, weil sie ohne Klimaanlage auskommen mussten. Aber er konnte sich für die Frauen einsetzen. Über einen Streik wurde eigentlich in DDR-Betrieben kaum gesprochen. Manfred Hantke konnte noch weitere Geschichten erzählen, die es durchaus wert sind, aufgeschrieben zu werden. Überhaupt die gesamte Entwicklung der Spinne und damit verbunden der Stadt.
Vielleicht ist es ja möglich, weitere Vorträge dieser Art in Leinefelde zu planen. Vor allem in Hinsicht auf 800 Jahre Leinefelde im Jahr 2027.
Ilka Kühn